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Das Heuerlingswesen
von ca. 1650 bis ca. 1970

Die Entstehung der ersten Heuerhäuser geht vermutlich auf das Ende des 16. Jahrhunderts zurück. Im großen Umfang entwickelte sich das Heuerlingswesen aber nach dem 30jährigen Krieg (1618-1648) um 1650. Die Gestrandeten dieses langen Krieges suchten Unterschlupf in der „Lieftucht“ (Leibzucht = Altenteil) der Bauernhäuser oder hausten in Ställen und Schuppen, in Scheunen und auf Böden.

Der weitaus größte Teil der Heuerleute werden aber abgehende Bauernsöhne und -Töchter, nahe Verwandte oder bewährte Knechte und Mägde eines betreffenden Bauernhofes gewesen sind.

Das Heuerlingswesen hat sich stark in den südlichen Gemeinden des Kreises Vechta, in Damme, Steinfeld, Neuenkirchen, Lohne und in Dinklage ausgebreitet, wo sein Anteil vor 200 Jahren noch mehr als zwei Drittel an der Gesamtbevölkerung betrug.

Das Wort „Heuermann“ stammt vom Niederdeutschen „Heuer“, plattdeutsch „de Hür“ = Miete oder Pacht. Heuerleute waren demnach Leute, die vom Bauern Grundstücke gepachtet hatten. Neben der Pachtzahlung waren sie auch zu bestimmten Dienstleistungen verpflichtet. Im Münsterland errichteten die Bauern mit der Zeit Häuser auf den an die Heuerleute verpachteten Grundstücken. Die Bearbeitung der Grundstücke war vom Heuermann selbst durchzuführen.

So primitiv die ersten Unterkünfte in Nebengebäuden des Hofes waren, so ärmlich waren auch die ersten von den Bauern errichteten Heuerhäuser. Sie wurden im Fachwerkstil errichtet, dessen Wände aus Lehm waren. Sie hatten nur zwei, kaum voneinander getrennte Räume. Im vorderen Raum hinter der großen Eingangstür (Näendörn) stand das Vieh, dahinter war der Wohnraum mit der Herdstelle, zunächst noch ohne Schornstein. Als Schlafstätten dienten „Durke“ oder „Alkoven“ an der Seite des Wohnraumes.

Später wurde die Herdstelle als Küche durch eine Trennwand von der Diele abgetrennt und ein Schornstein angebaut.

Um sich namentlich zu unterscheiden, entstanden bei den Bauern sowie Heuerleuten viele neue Familiennamen oder Beinamen. Für Bünne bekannte Namen und Abwandlungen sind:

Putken, Hemken, Schanzen, Eifken, Kessens, Boikens, Knieper, Hepken, Eskhus, Lütkhus, Hermken, Herms, Hugen, Zedding, Kessken, Prinzsin, Minnken, Anton, Popen, lüttke Werm, grote Werm, Hüsken, Hinnken, Kupers, Kiels, Aorns, Diers, Wullbernd, Baun, Goosjan, Mauerm, Nämedings, Punds, Säls, Schepers, Haowers, Plümers, Pikkewind, Kreugers, Künken, Hilgefauert, Toings, Knaols, Bäkens, Kamps, Prenger usw…

Den täglichen Lebensbedarf deckten die Heuerleute aus den Erträgen der ihnen vom Bauern gegen eine mäßige Pacht überlassenen Ländereien von 3 – 5 ha. Ein kleiner Garten lieferte das erforderliche Gemüse. Eine Kuhweide und Felder mit Braunkohl sorgten für das Futter der Haustiere. Jeder Heuermann hatte meistens zwei Kühe im Stall, die auch als Zugtiere vor Pflug und Wagen gespannt wurden. Die Viehställe wurden mit abgemähter Heide oder mit Plaggen oder Schullen aus der freien Mark gestreut, Stroh war zu wertvoll. Daraus wurde dann der Dünger gewonnen.

Ein viehkundiger Heuermann, der den Tierarzt ersetzte, fand sich in fast jeder Nachbarschaft.

Die Heuerleute lebten sehr bescheiden in unermüdlichem Fleiß und der Abkehr von jeglicher Art von Luxus. Das Leben spielte sich nach genau abgezirkelter Einteilung fast wie im Kloster ab. Die Nahrung ist aus heutiger Sicht als „Raufauer“ zu bezeichnen.

Als nach der Markenaufteilung in Bünne 1870 auch der Heuermann vom Bauern unkultivierten Markengrund zugewiesen bekam, der für die ersten Jahre pachtfrei war, rodete er in mühseliger Arbeit das Ödland um, ebnete und kultivierte es. Bitter war es dann, wenn er nach Ablauf der Freijahre seine Arbeit wie altes Pachtland bezahlen musste, und noch bitterer, wenn der Bauer ihm das Neuland nahm und ihm neuen, unkultivierten Boden wiedergab, woran er abermals seine Kräfte verschleißen konnte.

Schwer wog auch das „Helpen“ beim Bauern. Daraus entstand der Spruch: „Wenn de Bur fleitet, mott de Hürmann lopen!“ Auch die Frauen und Kinder wurden mit eingespannt. So kam es auch oft vor, dass dem Heuermann für die Erledigung seiner eigenen Erntearbeiten nur „De Hürlüsünn“ (der Mond) übrigblieb. Aber auch die besseren Wetterlagen gehörten meistens dem Bauern. Und leider gab es auch geizige Bauern, welche den alten Bauerspruch „Äten un Drinken holt Lief un Seele tauhope“ nicht wahrhaben wollten und ihre Heuerleute hungrig nach Hause entließen. Die Zahl der Arbeitstage beim Bauern schwankte zwischen einer Hälfte und einem Viertel der jährlichen Arbeitstage.

Doch auch viele Bauern suchten ein einvernehmliches und andauernd gutes Verhältnis zu ihren Heuerleuten, auch im Sinne einer guten Nachbarschaft.

 Wenn die Kinder aus der Schule entlassen wurden, traten auch sie meistens beim Bauern in den Dienst und wurden „lüttke Knecht“ oder „lüttke Maogd“. Sie heirateten auch untereinander. So wuchs die Landbevölkerung der Heuerleute schnell.

Im Winter sprangen die Heuerleute bei allerhand Arbeit auf dem Hofe ein. Sie konnten mit Hammer und Beil, mit Säge und Meißel, mit der Kelle und dem Schlachtermesser, mit Draht und Schere umgehen. Sie setzten Fenster und Türen instand und brachten alle Dinge des Alltags in Ordnung. Haare schneiden und „Nikolaus spielen“ gehörten ebenfalls dazu. Aber auch die Herstellung von Binsenstühlen und Kartoffelkörben beherrschten sie. Spinnrad und Webstuhl gehörten in die meisten Heuerhäuser. Viele wurden auch wahre Naturkundler, wie Pundsin Heini (Heinrich Hilgefort). Für seine Verdienste um die Natur wurde ihm 2011 von der Kreisjägerschaft Vechta das „Goldene Rebhuhn“ verliehen. Pundsin Heini war bis ca. 1975 der letzte Heuermann in Bünne.

Das doch oft gute Verhältnis zwischen dem Bauern und seinen Heuerleuten war auch die Ursache dafür, dass sich der Heuermann in seinem engen und bescheidenen Wirkungskreis wohlfühlte. Und das sich im Oldenburger Münsterland, als ab 1820 die mittelalterliche Leibeigenschaft der Bauern aufgehoben wurde, weder bei den Bauern noch bei den Heuerleuten zunächst Stimmen nach einer Änderung der Verhältnisse erhoben.

Leider hat sich dieses enge Verhältnis im Laufe der Jahrzehnte nach der „Befreiung“ der Bauern stark verändert. Mehr und mehr entwickelte sich zwischen Bauer und Heuermann ein spürbarer Standesunterschied, so wie er davor zwischen dem Bauern und dem Grundherrn bestand.

Viel Handwerker haben sich aus dem Heuerwesen heraus selbstständig gemacht.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert endete das Heuerlingswesen nach etwa 300 Jahren. Die noch verbliebenen Heuerleute kündigten ihre Pachtverträge, weil ihnen beruflich neue Wege offenstanden. Auch auf dem Lande waren nun Fabriken und Handwerksbetriebe entstanden.

Einwohnerzahlen:

Im Jahr 1665 hatte Bünne rund 300 Seelen, 1727 waren es 434. Im Jahr 1837 sind es nach einer Zählung sogar 603 und im Jahr 1905 waren es noch 405 Seelen. Die Zählung von 1950 ergab 464 Einheimische und 101 Ortsvertriebene. Und im Jahr 2022 leben 312 Personen in Bünne.

Heuerstellen:

Im Jahr 1900 zählte man im Oldenburger Münsterland 1060 Bauernstellen ohne Heuermann und 1600 Bauernstellen mit insgesamt 3700 Heuerstellen. Der überwiegende Teil der Heuerstellen lag dabei im Kreis Vechta. Im Schnitt kamen somit im Jahr 1900 auf einen Bauern mit Heuerstellen 2,3 Heuerleute. Bünne hatte im Jahr 1900 noch 37 Heuerstellen und im Jahr 1950 waren es noch 26 Heuerstellen.